Es ist der Morgen des 14. Juli 1835, ein Sonntag. In der Londoner Zentralgemeinde warten die versammelten Gläubigen darauf, dass die Zahl der Apostel vollständig wird. An diesem Tag muss es geschehen, so glauben sie. Ihre Geduld wird auf eine harte Probe gestellt.
Der Termin war bereits vor dreieinhalb Jahren durch Weissagung festgelegt und kürzlich bestätigt worden. Deshalb hat man sich schon seit sieben Tagen täglich zum gemeinsamen Gebet versammelt. Bald muss doch David Dow, der zwölfte Apostel, endlich eintreffen!
Die Vollzahl Zwölf
Im Juni war Apostel Cardale nach Schottland gereist, um David Dow und seinen Bruder William aufzufordern, nach London zu kommen und ihre Plätze als Apostel einzunehmen. William war dem Ruf bereitwillig gefolgt, David zweifelte. Er versteckte sich vor den Boten, die ihm nachgesandt wurden, war jetzt aber in London. Würde er seine Zweifel überwinden?
Am Nachmittag des 14. Juli 1835 kam die Gemeinde erneut zusammen. David Dow erschien nicht. Zwei bewährte Engel (Gemeindebischöfe) wurden vor die Gemeinde gestellt. Einer von ihnen, Duncan MacKenzie, wurde dann durch eine Weissagung des Propheten Taplin als zwölfter Apostel benannt.
Bis dahin war es ein langer Weg gewesen.
Cardale und Irving
Nachdem Cardale an Weihnachten 1832 in Albury die ersten Ordinationen durchgeführt hatte, übte er sein Apostelamt auch in seiner Londoner Heimatgemeinde aus. Es gab dafür einen besonderen Anlass: Im März 1833 verlor Edward Irving durch einen Richterspruch der Schottischen Kirche sein geistliches Amt. Auf prophetisches Geheiß wartete er auf eine apostolische Ordination, die er durch Cardale am 5. April empfing. Fortan leitete er bis zu seinem Tod am 8. Dezember 1834 die Gemeinde in der Newman Street in London als Engel (Bischof).
Den Aposteln unterstellt
Noch bevor Cardale Irving zum Engel der Gemeinde ordinierte, hatte er Taplin die Hände aufgelegt und ihn zum Propheten im Rang eines Engels ordiniert. Konnte es bisher so scheinen, dass der Prophet unmittelbar von Gott gesetzt war, so machte diese Ordination deutlich, dass auch ein Prophet sein Amt durch den Apostel empfing.
Cardales Tätigkeit blieb nicht auf zwei Gemeinden beschränkt, und mit der Rufung Drummonds im September 1833 begann auch eine Erweiterung des Apostelkreises. Bis zum 14. Juli 1835 gab es 24 Gemeinden mit Engeln, die durch Apostel ordiniert waren und sich ihrer Autorität unterstellten.
Die „Sieben Gemeinden“ als Modell
Eine besondere Bedeutung kam den Londoner Gemeinden zu. Weissagungen verlangten, dass in London Sieben Gemeinden entstehen sollten. Sie sollten modellhaft zeigen, wie sich die Christen bald in allen christlichen Nationen als vom Heiligen Geist geformte Kirche vereinen würden.
Vier Gemeinden wurden von ihren Leitern in die Gemeinschaft mit den Apostel geführt. Es wurden Engel als künftige Leiter der drei noch fehlenden Gemeinden berufen. Sie sammelten anschließend Mitglieder, um die Gemeinden zu gründen.
Die Amtsträger der Sieben Gemeinden bildeten den „Rat von Zion“. Die Apostel führten dort gemeinsam den Vorsitz. Dieser Rat war – zusammen mit vielen weiteren Amtsträgern und Gemeindemitgliedern – versammelt, als mit Duncan MacKenzie am Nachmittag des 14. Juli 1835 der zwölfte Apostel sein Amt angenommen hatte.
Die „Aussonderung“ der Apostel
Da MacKenzie Engel der Gemeinde Islington im Norden Londons war, wurde für ihn umgehend ein Nachfolger ordiniert, denn die Engel der Sieben Gemeinden sollten ein besonderes Werk verrichten: Sie sollten die Apostel „aussondern“. Am Abend dieses ereignisreichen Tages legten die Engel der Sieben Gemeinden Londons den zwölf Aposteln die Hände auf. Mit dieser Tat bekundeten sie stellvertretend für die gesamte Kirche, dass die Apostel fortan „ausgesondert“ seien. Das sollte heißen, dass sie innerhalb der Christenheit niemandem sonst zum Gehorsam verpflichtet waren.
Warten auf die „Aussendung“
Die Apostel sollten fortan zum Segen für alle Christen wirken und ihnen vorangehen. Jedoch warteten sie nach ihrer „Aussonderung“ noch auf ihre „Aussendung“. Denn davon erwarteten sie eine besondere Kraft zu wundertätigem Wirken, die sie noch nicht hatten. Die Aussendung, so glaubten sie, könne noch nicht stattfinden, denn noch seien sie wie ein neu geborenes Kind. Sie müssten durch die Kirche, symbolisiert in den Sieben Gemeinden, genährt werden. Dies müsse zunächst im Verborgenen geschehen, und dazu sollten sie sich in Albury versammeln.
Worauf warteten sie? Die Antwort liegt in dem besonderen Verständnis vom biblischen Apostelamt, das die englischen Apostel hatten. Demnach waren Petrus und die elf Apostel als Apostel für die Juden eingesetzt. Doch das Volk der Juden habe sie nicht angenommen. So habe Gott die Juden verworfen und sich den Heiden zugewandt.
Apostel zur Vollendung der Kirche
Als Apostel für die Heiden sei Paulus zunächst mit der vollen Amtsautorität eines Apostels tätig gewesen. Dann aber sei er in den Gemeinden auf immer größere Widerstände gestoßen. Sein Apostelamt sei wie „gebunden“ gewesen, so dass er es nicht mehr vollständig ausüben konnte. Nach einer Zeit des Verfalls der Kirche habe Gott am 14. Juli 1835 die vollständige Zahl von zwölf heidenchristlichen Aposteln gegeben. Sie sollten jetzt die Kirche zur Vollkommenheit führen, damit sie für die Wiederkunft Christi bereit war.
Mit der noch erwarteten „Aussendung“ der Apostel sollte der Zustand der Schwäche des heidenchristlichen Apostolats enden. In der vollen Kraft ihres Amtes sollten die Zwölf in der Endzeit eine große Schar von Christen dem Herrn entgegen führen.
Der Bann muss brechen
Das war eine gewaltige Aufgabe. Würde ihnen gelingen, was Paulus (nach ihrem Verständnis) nicht geschafft hatte? Dazu musste, so glaubten sie, noch das „Band“ zerrissen oder der „Bann“ gebrochen werden, wodurch seit Paulus das Wirken der Apostel eingeschränkt wurde.
Von: Manfred Henke
27. Dezember 1860
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